WO BIST DU ITZT - die grenzenlose Odyssee Lenzens (2020/2021)

"WO BIST DU ITZT - die grenzenlose Odyssee Lenzens" ist die Entwicklung eines neuen  sprach- und spartenübergreifendes Theaterprojektes.

 

Das Leipziger/Berliner Netzwerk raum4 e.V.  erforscht gemeinsam mit russischen (Teatr Pokoleniy) und schweizer Theaterkolleg*innen (DIE ZIMMERWÄLDLER) die positiven Seiten von Mehrsprachigkeit und der Existenz verschiedener Kulturen am selben Ort. Dies geschieht anhand der Reisen des russischen Sturm und Drang Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-92), der in deutscher Sprache schrieb.

 

Die Grenzschließungen infolge der aktuellen Pandemie haben schmerzlich vor Augen geführt, wie geteilt Europa immer noch ist. Aus diesem Grund wollen wir gemeinsam ein Theaterprojekt entwickeln, das ganz sinnlich und spielerisch die Zuschreibung der Welt entlang nationaler Grenzen dekonstruiert. Sechs Stationen aus dem Lebensweg des  Dramatikers Jakob Lenz werden gewählt; weitgehend unbekannt in Deutschland ist, dass Lenz russischer Staatsbürger war, da sein Geburtsort Seßwegen im Baltikum zum russischen Kaiserreich gehörte. Lenz war wahrscheinlich auch der erste Übersetzer russischer Literatur ins Deutsche und verbrachte das letzte Drittel seines Lebens in Russland.

 

In sechs Teilen wird eine irrlichternde Reise des Dramatikers durch den baltischen, französischen, schweizerdeutschen und russischen Sprachraum zu einem Parforceritt des Scheiterns, wobei Homers Odyssee als verbindendes Element und roter Faden die verborgene Unterströmung des Projektes bildet. Jede der 6 sechzehnminütigen Stationen entspricht dem Inhalt von vier Gesängen aus Homers Epos. Auch werden beispielsweise die Frauengestalten, denen Lenz auf seinen Irrfahrten begegnet wie Friederike Brion, Frau von Stein, Cornelia Schlosser etc. den Frauengestalten der Odyssee (Kalypso, Nausikaa, Kirke, Penelope) nachempfunden. Homers Epos wird bewusst gewählt, da er den Aufbruch nach dem Kollaps der bronzezeitlichen Hochkulturen (Ilias) beschreibt. Jetzt in der frühen Eisenzeit, der Gründungszeit der griechischen Kolonien, ist es notwendig Grenzen und Sprachbarrieren zu überwinden; so wandelt sich Odysseus von der negativen Gestalt, der er in der Ilias war, nun zu einem im permanenten Scheitern positiven Helden. Vernunft und die Fähigkeiten auf unterschiedliche Kulturen einzugehen wird plötzlich etwas Positives. Das Subversive des grenzüberschreitenden Entwurfes in allen Bereichen: Liebe, Beziehungen/Freundschaften, Kunst, Poesie, Politik, Gesellschaft, Militär/Krieg wird bei Lenzens irrlichternden Suchbewegung deutlich. Das Überschreiten aller Grenzen, wie zB in Sprache, Nationalitäten, Liebesbeziehungen, Kunstgenres etc. wird hierbei immer in erster Linie als Bewegung verstanden; das Unbehauste, Fernweh, permanente Scheitern als eine unstillbare Sehnsucht: Mein Feld ist die Welt!

 

Nicht nur die gesprochenen Sprachen, Zeiten und kulturellen Referenzen werden variiert sondern auch die Formsprachen der Kunst sollen an jeder der sechs Stationen radikal wechseln (psycholog. realistisches Theater, Tanztheater, Mundart Volkstheater, gesungenes Oratorium, Fließtext für chorisches Sprechem, visual theatre).  

Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (NEUSTART KULTUR #TakeCare) führen wir zunächst in einer ersten Phase bis Ende Februar `21 mit den deutschen Teilnehmer*innen Recherchen in Einzelgesprächen und gemeinsame ZOOM meetings durch. Im Frühjahr 2021 realisieren wir auf der Grundlage dieser Ergebnisse in einer zweiten Phase, gefördert als Entwicklungs- und Werkbeitrag des Kantons Bern einen ersten Workshop zur praktischen Erforschung des Materials gemeinsam mit unseren schweizer und russischen Kolleg*innen. Anschließend werden wir Anträge stellen für das endgültige Theaterprojekt, welches wir im Sommer/Herbst 2022 an verschiedenen Partnertheatern in der Schweiz, in Deutschland und in St Petersburg realisieren wollen.

 

 

Teilnehmer*innen

 

Aus Deutschland:

Louisa Stroux (Schauspielerin)

Mala Emde (Schauspielerin)

Yvonne Griesel (Sprachmittlung/Übersetzung)

Daria Malygina (Regieassistenz)

Eberhard Köhler (Regie)

 

Aus Belgien:

Simon Ho (Komposition/live Musik)

 

Aus der Schweiz:

Evelyne Gugolz (Schauspielerin)

Dominique Jann (Schauspieler)

Manuel Bürgin (Schauspieler)

Matto Kämpf (Autor)

Jann Messerli (Ausstattung)

 

Aus Russland:

Danila Korogodsky (Bühne/Kostüme)

N.N. (Choreographie/Bewegungsregie)

sowie das Ensemble des Teatr Pokoleniy (Theater der Generationen) 

 

Materialien

MAILIED

 

Jakob Michael Reinhold Lenz

 

Wo bist du itzt

 

Wo bist du itzt, mein unvergeßlich Mädchen,

Wo singst du itzt?

Wo lacht die Flur, wo triumphiert das

Städtchen,

Das dich besitzt?

 

Seit du entfernt, will keine Sonne scheinen,

Und es vereint

Der Himmel sich, dir zärtlich nachzuweinen,

Mit deinem Freund.

 

All unsre Lust ist fort mit dir gezogen,

Still überall

Ist Stadt und Feld. Dir nach ist sie geflogen,

Die Nachtigall.

 

O komm zurück! Schon rufen Hirt und

Heerden

Dich bang herbei.

Komm bald zurück! Sonst wird es Winter

werden

 

Im Monat Mai.

MAILIED

 

Johann Wolfgang von Goethe

 

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne!

Wie lacht die Flur!

 

Es dringen Blüten

Aus jedem Zweig

Und tausend Stimmen

Aus dem Gesträuch

 

Und Freud' und Wonne

Aus jeder Brust.

O Erd', o Sonne!

O Glück, o Lust!

 

O Lieb', o Liebe!

So golden schön,

Wie Morgenwolken

Auf jenen Höhn!

 

Du segnest herrlich

Das frische Feld,

Im Blütendampfe

Die volle Welt.

 

O Mädchen, Mädchen,

Wie lieb' ich dich!

Wie blickt dein Auge!

Wie liebst du mich!

 

So liebt die Lerche

Gesang und Luft,

Und Morgenblumen

Den Himmelsduft,

 

Wie ich dich liebe

Mit warmem Blut,

Die du mir Jugend

Und Freud' und Mut

 

Zu neuen Liedern

Und Tänzen gibst.

Sei ewig glücklich,

Wie du mich liebst!

 

 

 


Literaturliste “WO BIST DU ITZT” / list of literature for „WHERE ARE YOU NOW“:

 

 

Filme / films:

  • LENZ, Regie Thomas Imbach (cast: Milan Peschel, Barbara Maurer, Noah Gsell), Switzerland 2006
  • LENZ . Ich aber werde dunkel sein, Regie Egon Günther (cast: Jörg Schüttauf, Susanna Simon, Christian kuchenbuch, Anja Kling, Götz Schubert etc.) Germany 1995
  •  Jakob Lenz, Opera da camera in dodici quadri e un epilogo (Wolfgang Rihm) Regie: Henning Brockhaus TEATRO Comunale di BOLOGNA https://www.youtube.com/watch?v=eyq37usCwas
  •  Der Hofmeister to go (Lenz in 10,5 Minuten) https://www.youtube.com/watch?v=ilIXdNR-a5Q
  • Lenz to go (Büchner in 7 Minuten) https://www.youtube.com/watch?v=lRgnpL1MnAY

 

Werke:

  • Jakob Michael Reinhold Lenz, Werke und Briefe in drei Bänden, Herausgegeben von Sigrid Damm, Insel Verlag, Leipzig 1987 (Band 1 Dramen, Band 2 Prosa, Band 3 Briefe)
  • HOMER, Die Odyssee übersetzt von Wolfgang Schadewaldt, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1958

 

In Russian we have already:

  • Якоб Михаэль Рейнгольд Ленц, Гувернёр, домашний учитель или Последствия домашнего образования (Der Hofmeister)
  • Якоб Михаэль Рейнгольд Ленц, Военные (Die Soldaten)
  • Георг Бюхнер, ЛЕНЦ (Büchner „Lenz“)
  • Олег Юрьев, Неизвестные письма (O.Jurjew „Unbekannte Briefe)

 

Sekundärliteratur:

  • Siegrid Damm, „Vögel die verkünden Land“, Lenz Biographie, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1989
  • Nicola May „Jakob Michael Reinhold Lenz als Bühnenfigur“, Stuttgart 1991
  • Inge Stephan/Hans Gert Winter „Lenz ein vorübergehender Meteor“, Stuttgart 1984
  • Inge Stephan/Hans Gert Winter (Herausg.) „unaufhörlich Lenz gelesen ...“, 1994
  • Verlag J.B. Metzler
  • Julia Freytag, Inge Stephan, Hans Gert Winter (Hrsg) „J.M.R. Lenz Handbuch“
  • Inge Stephan, Hans Gert Winter „Die Wunde Lenz“, Publikationen zur Zeitschrift
  • Germanistik
  • Inge Stephan/Hans Gert Winter „Zwischen Wissenschaft und Kunst, Jakob Michael Reinhold Lenz“, Publikationen zur Zeitschrift Germanistik 14
  • Christoph Hein, „Waldbruder Lenz“, in „Öffentlich arbeiten“ Aufbau Verlag, Berlin
  • und Weimar 1987

 

Lenz als literarische Figur:

 

  • Georg Büchner, „Lenz“, in Georg Büchner „Werke und Briefe“ , Carl Hanser Verlag, München 1988
  • Gerd Hoffmann, „Die Rückkehr des verlorenen Jakob Michael Reinhold Lenz nach Riga“ , Carl Hanser Verlag, München & Wien 1981
  • Peter Schneider, „Lenz“, Rotbuch Verlag, Berlin 1973
  • Oleg Alexandrowitsch Jurjew, „Unbekannter Brief des Schriftstellers J.M.R. Lenz an Nikolai Michailowitsch Karamsin“, Verbrecher Verlag, Berlin 2017
  • Katharina Gericke „Lenz. Fragmente“ , henschel schauspiel, Berlin 2013
  • Christoph Hein „ZUR GESCHICHTE DES MENSCHLICHEN HERZENS oder HERR SCHUBART ERZÄHLT HERRN LENZ EINEN ROMAN, DER SICH MITTEN UNTER UNS ZUGETRAGEN HAT“ Komödie nach dem Fragment Der tugendhafte Taugenichts von Jakob Michael Reinhold Lenz, henschel schauspiel, Berlin 2002

 

Lenz Bearbeitungen:

  •  Marieluise Fleißer, „Pioniere in Ingolstadt“
  • Georg Büchner, „Woyzeck“
  • Bertolt Brecht, „Der Hofmeister“
  • Heinar Kipphardt, „Die Soldaten“
  • Christoph Hein, „Der neue Menoza oder die Geschichte des cumbanischen Prinzen Tandi“

 

 

 

Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien